Nehmen wir an, wir lebten wie dünne Bären
und der Hunger triebe uns dem Feind zu.
Der Feind wäre voller Freude darüber und drehte TikTok Videos
und fütterte uns nah an sein Haus heran mit süßen Speisen,
die nach Blut und Fett röchen und doch nichts davon enthielten.
Nehmen wir an, wir hielten den Staub unseres Ackers
in den Händen, das Wasser wäre längst in tieferen Schichten,
die Pflanzen, nach denen es allen verlangt, müssten wie Fremde
ins Land gebracht und eingesetzt und um jeden Strunk
müssten Wasserschläuche gefädelt werden wie Aorten.
Nehmen wir an, das Plastik, so bunt es ist,
strangulierte einen Delfin, der uns persönlich bekannt wäre,
schließlich hätten wir noch vor einem halben Jahr
einen öko-touristischen Urlaub unternommen,
bei dessen Highlight man uns versprochen hatte,
dass die Delfine mit denen wir schwimmen durften,
in nur wenigen Wochen in die Freiheit entlassen werden würden.
Unser Gewissen war nie reiner als beim Streicheln von
Jaime, dem Fleckendelfin, dessen Bekanntschaft wir schicksalshaft wähnten.
Nehmen wir an, ein Besuch des Müllteppichs im Meer
enthüllte uns verschiedene Wahrheiten und wir ruderten fort
mit einer Nachricht und einer wohlgesetzten Warnung auf den Lippen.
Nehmen wir an, wir bauten uns ein Mikrofon auf,
drehten die Lautsprecher auf volle Lautstärke und
sängen mit allen Stimmen der Meeressäuger und
allen Silben der Menschensprachen eine Weile in die Anlage;
Samstagmorgen in unserer jeweiligen kleinen Stadt,
ihrer Fußgängerzone zwischen H&M und Kentucky Fried Chicken.
Nehmen wir an, einer hörte uns, der eine Plattenfirma in Aussicht stellte
und unsere Verwundbarkeit preisen würde.
Der würde uns mitnehmen in einem kleinen Auto
in eine andere kleine Stadt, würde unseren Pass behalten und
uns Menschen vorführen, die uns nehmen und uns nichts lassen würden,
was es lohnte, heimzuschleppen.
Nehmen wir an, wir lebten wie Menschen des Jahres 2022,
utopische Wesen im Einklang mit sich und der Welt. Aber nein,
wir leben wie Menschen des Jahres vor 2022, immer davor, kurz davor.
Vor was? fragen sie in den Kommentarspalten.
Vor unserer Zeit.
Sett at
Sett at vi var magre bjørner
og sulten drev oss mot fienden.
Fienden var fra seg av glede, laget TikTok videoer,
lokket oss til huset sitt og matet oss med søtsaker
som luktet blod og fett og ikke inneholdt noen av delene.
Sett at vi holdt støvet fra åkeren vår
i hendene, vannet var for lengst langt nede i jordlagene,
vekstene, som alle higer etter, måtte importeres
og plantes som fremmede og rundt hver stilk
måtte vannslanger tjene som hovedpulsårer.
Sett at plasten, så glorete den enn er,
kvelte en delfin som vi kjente personlig,
et halvt år tidligere hadde vi jo
vært på øko-turist-ferie
hvor hovedattraksjonen vi ble lovet
var å svømme med delfinene
som skulle slippes fri om et par ukers tid.
Samvittigheten vår var aldri så ren som da vi klappet
Jaime, flekkdelfinen, et bekjentskap vi trodde var skjebnebestemt.
Sett at vi besøkte søppelfeltet på havet,
fikk avdekket ulike sannheter og rodde bort
med en nyhet og en velformulert advarsel på tungen.
Sett at vi satte opp en mikrofon,
skrudde høyttalerne på full styrke og
sang en stund over anlegget med alle stemmene
til havpattedyrene og alle stavelsene i menneskespråkene;
lørdag morgen i hver vår lille by,
i gågaten mellom Hennes & Mauritz og Kentucky Fried Chicken.
Sett at noen hørte på oss, og forespeilte oss et plateselskap
og lovpriste sårbarheten vår,
tok oss med i en liten bil
til en annen liten by, beholdt passet vårt og
presenterte oss for folk som pågrep oss og ikke lot oss gå
før de hadde tatt fra oss alt som var verdt å ta med seg hjem.
Sett at vi levde som mennesker fra år 2022,
utopiske vesener i overenstemmelse med seg selv og verden. Men nei,
vi lever som mennesker fra året før 2022, alltid før, rett før.
Før hva? spør de i kommentarspaltene.
Før vår tid.
/ Nora Gomringer, geboren 1980, ist Schweizerin und Deutsche. Sie ist Lyrikerin und schreibt für Radio und Feuilleton, veröffentlicht Kolumnen und Essays. In den letzten Jahren ist ihre Medienpräsenz durch verschiedene Film- und TV-Arbeiten gewachsen, dabei wird ihr Name fest mit Gedichten und Kulturvermittlung verbunden. Auftragsarbeiten wie Libretti für Opernprojekte und das Theaterstück „OINKONOMY“ wurden für verschiedene Bühnen realisiert. Gastprofessuren und Stipendien führten sie nach Sheffield, Koblenz/Landau, Oberlin/Ohio, Kyoto, New York und Novosibirsk. Seit 2010 ist sie Direktorin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg/Bayern.
2015 gewann sie den Ingeborg-Bachmann-Preis für den Prosatext „Recherche“. Ihre letzte Auszeichnung ist die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz für ihre Verdienste für die deutsche Sprache. Ihr Werk ist in zahlreiche Sprachen übersetzt.
// Photo: Judith Kinnitz
/// Vi takker poet og gjendikter, samt Fritt Ord for støtten. Denne gjendiktningen er på oppdrag fra Forfatternes klimaaksjon.
